Wie KI unser Suchverhalten verändert
Ich erinnere mich an die Selbstverständlichkeit, mit der wir alle jahrelang einfach „googeln“ sagten. Informationssuche war gleichbedeutend mit Google, eine Routine, die sich in Köpfen und Händen eingeprägt hatte. Heute stehen wir an einem Wendepunkt: Generative KI verändert diese Routinen, aber weniger abrupt, als es in manchen Technikkommentaren klingt. Eine aktuelle qualitative Studie der Nielsen Norman Group (NN/g) von Kate Moran, Maria Rosala und Josh Brown, veröffentlicht am 15. August 2025, zeigt, wie tief alte Gewohnheiten sitzen und wo KI dennoch neue Wege öffnet (NN/g-Artikel hier lesen).
Die Macht der Gewohnheit
Menschen sind Gewohnheitstiere. In der Studie erklärten viele Teilnehmende, dass sie nie ernsthaft andere Suchmaschinen ausprobiert hätten. Google sei einfach da: im Browser voreingestellt, vertraut, zuverlässig genug.
Selbst kleine Verhaltensmuster sind erstaunlich stabil. Manche überspringen reflexhaft die ersten, gesponserten Ergebnisse. Niemand konnte genau erklären, warum, aber es fühlte sich schlicht „so richtig“ an. Über Jahre eingeübte Routinen prägen, wie wir Informationen suchen, und sie verschwinden nicht von heute auf morgen.
Um das zu ändern, braucht es einen klaren und spürbaren Mehrwert.
Wo KI Mehrwert schafft
Generative KI liefert genau das. KI-gestützte Werkzeuge nehmen mühsame Arbeitsschritte ab: Suchbegriffe formulieren, Quellen vergleichen, widersprüchliche Aussagen sortieren, lange Texte scannen. Mehrere Teilnehmende berichteten, wie viel Zeit sie damit sparen.
Besonders sichtbar wird der Effekt in den sogenannten AI Overviews bei Google. Wer heute nach „Drachenfrucht“ sucht, bekommt eine kurze Zusammenfassung mit Aussehen, Sorten und Geschmack direkt am Seitenanfang. Für viele reicht diese Antwort, und der Klick auf Wikipedia oder Healthline entfällt.
Für Nutzerinnen und Nutzer ist das bequem, für Content-Anbieter jedoch problematisch: Informationen werden konsumiert, ohne dass die Ursprungsquelle besucht wird. Eine quantitative Studie des Pew Research Center bestätigte, dass Menschen deutlich seltener auf Links klicken, sobald ein AI Overview erscheint.
Erste Begegnungen, bleibender Eindruck
Besonders aufschlussreich sind die Momente, in denen Menschen KI erstmals für Informationssuche nutzen. Ein Vater suchte in der Studie zunächst klassisch mit Google nach der richtigen Torgröße für seinen Sohn. Er notierte Maße und Produktinfos mühsam auf Klebezetteln. Erst später, bei einer Frage zu einem Wasserrohr, wurde er zu Gemini geleitet. Nach anfänglichem Zögern war er überrascht, wie gezielt die Tipps passten: „Es fühlt sich an, als hätte ich Zeit gespart.“
Viele andere reagierten ähnlich: Wer KI einmal ausprobiert, entdeckt ihr Potenzial schnell. Eine ältere Teilnehmerin bat sogar um Hilfe beim Speichern von Perplexity, damit sie später zurückkehren konnte.
Diese Lernmomente sind entscheidend. Sie zeigen, dass selbst Menschen mit wenig Technikaffinität bereit sind, Routinen zu ändern, wenn der Nutzen sofort spürbar ist.
Suchmaschinen bleiben bestehen
Trotz der Vorteile verschwindet klassische Suche nicht. Alle Teilnehmenden nutzten weiterhin Google oder andere Suchmaschinen. Oft diente die klassische Suche zum Gegenchecken oder Vertiefen. Auch erfahrene KI-Nutzerinnen und Nutzer verlassen sich nicht ausschließlich auf Chatbots.
Das ist nachvollziehbar: KI kann strukturieren und vorfiltern, aber bei komplexen Entscheidungen, etwa beim Kauf eines Produkts oder beim Prüfen der Glaubwürdigkeit, bleibt die traditionelle Suche wichtig.
Gewohnheit als Wettbewerbsvorteil
Interessant ist die Rolle der Vertrautheit. Viele nutzen ChatGPT, weil es das erste große Sprachmodell war und Aufmerksamkeit erregte. Gleichzeitig hat Gemini einen Vorteil: Es ist direkt in Google integriert, das ohnehin Standard ist. Manche sagten schlicht: „Ich habe schon Bard genutzt, jetzt ist es Gemini, und dabei bleibe ich.“
Wie damals beim Verb „googeln“ könnte auch hier Sprache ein Signal für Verhalten sein. Erste Teilnehmende nannten ChatGPT nur noch „Chat“. Solche Gewohnheiten können ganze Märkte prägen.
Was wir lernen
Der Wandel ist spürbar, aber er passiert langsamer und ungleichmäßiger, als viele Tech-Enthusiasten erwarten. Gewohnheiten sind mächtig, doch sobald Menschen konkrete Vorteile erleben, brechen sie auf.
Die zentrale Herausforderung für Designer und Produktteams lautet deshalb Entdeckbarkeit. Es geht nicht nur darum, dass Nutzer KI-gestützte Werkzeuge finden, sondern auch verstehen, wofür sie sie einsetzen können.
Nur wenn diese Brücke gelingt, wird generative KI ihre volle Rolle in unserem Informationsalltag spielen.
Quelle: Nielsen Norman Group, „How AI Is Changing Search Behaviors“, Studie von Kate Moran, Maria Rosala und Josh Brown, veröffentlicht am 15. August 2025, NN/g-Artikel hier lesen.